Gilt Alarmbereitschaft als Arbeitszeit? Ein rechtlicher Leitfaden

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Alarmbereitschaft ist ein Thema, das viele Arbeitnehmer, insbesondere im öffentlichen Dienst und bei Einsatzkräften, betrifft. Doch wann genau gilt Alarmbereitschaft als Arbeitszeit, und welche Rechte haben Beschäftigte in Deutschland? Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen hat hierzu eine wichtige Entscheidung getroffen (Urteile v. 30.09.2024, Az. 6 A 856/23, 6 A 857/23). In diesem Beitrag klären wir die rechtlichen Grundlagen, zeigen Beispiele aus der Praxis und geben Tipps für Arbeitnehmer.

Was ist Alarmbereitschaft?

Alarmbereitschaft bedeutet, dass ein Arbeitnehmer sich in einem Zustand der ständigen Rufbereitschaft befindet und im Bedarfsfall unverzüglich seinen Dienst antreten muss. Diese Form der Bereitschaft unterscheidet sich von der reinen Rufbereitschaft, bei der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sind, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten oder innerhalb einer festgelegten Frist zur Arbeit zu erscheinen.

Zählt Alarmbereitschaft als Arbeitszeit?

Ja, Alarmbereitschaft gilt nach deutschem Recht als Arbeitszeit, sofern der Arbeitnehmer in dieser Zeit einer erheblichen Einschränkung seiner persönlichen Freiheit unterliegt. Dies hat das OVG Nordrhein-Westfalen im September 2024 entschieden. Es beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der bereits in früheren Entscheidungen klargestellt hat, dass Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer in der Lage sein muss, unverzüglich auf Anforderungen des Arbeitgebers zu reagieren, als Arbeitszeit anzusehen sind (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2018, Az. C-518/15).

Welche Bedeutung hat das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen?

Das OVG entschied, dass die Alarmbereitschaft von zwei Feuerwehrmännern aus Mühlheim als Arbeitszeit zu werten ist, da sie während dieser Zeit verpflichtet waren, sich innerhalb eines bestimmten Radius aufzuhalten und jederzeit einsatzbereit zu sein. Diese Verpflichtung schränkt die Freizeitgestaltung erheblich ein. Das Gericht hat zudem klargestellt, dass Alarmbereitschaft nicht mit der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden verrechnet werden darf, sondern darüber hinaus gesondert zu vergüten ist.

Warum ist Europarecht hier entscheidend?

Das deutsche Arbeitszeitgesetz (§ 2 ArbZG) basiert auf der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Diese legt fest, dass alle Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer dem Willen des Arbeitgebers unterliegt, als Arbeitszeit anzusehen sind. Nationale Gerichte sind daher verpflichtet, diese Regelung bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.

Welche Konsequenzen hat das Urteil für Arbeitnehmer?

Arbeitnehmer, die sich in Alarmbereitschaft befinden, können unter bestimmten Voraussetzungen verlangen, dass diese Zeiten als Arbeitszeit anerkannt und entsprechend vergütet werden. Dies gilt insbesondere, wenn:

  • sie verpflichtet sind, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten,
  • sie innerhalb kurzer Zeit einsatzbereit sein müssen,
  • ihre Freizeitgestaltung dadurch eingeschränkt wird.

Beispiele aus der Praxis

Beispiel 1: Feuerwehrmänner in Alarmbereitschaft

Die Kläger in dem Verfahren vor dem OVG Nordrhein-Westfalen waren verpflichtet, sich während der Alarmbereitschaft im Umkreis von 30 Minuten zur Feuerwache aufzuhalten. Sie mussten ständig einsatzbereit sein und konnten diese Zeit nicht frei nutzen. Das Gericht entschied, dass diese Zeiten als Arbeitszeit anzusehen sind und zusätzlich zu vergüten sind.

Beispiel 2: Krankenpfleger im Bereitschaftsdienst

Ein Krankenpfleger, der während seiner Bereitschaft im Krankenhaus verbleiben muss, hat Anspruch darauf, diese Zeit vollständig als Arbeitszeit anerkennen zu lassen. Dies wurde bereits in früheren EuGH-Urteilen (z. B. C-344/19) klargestellt.

Beispiel 3: Techniker in Rufbereitschaft

Ein Techniker, der zwar in Rufbereitschaft ist, sich aber frei bewegen kann und lediglich telefonisch erreichbar sein muss, hat keinen Anspruch darauf, diese Zeit als Arbeitszeit anerkennen zu lassen. Hier fehlt die unmittelbare Bindung an den Arbeitsort oder die Einsatzbereitschaft.

Welche Schritte sollten Arbeitnehmer unternehmen?

  1. Prüfen Sie Ihren Arbeitsvertrag: Schauen Sie nach, wie Alarmbereitschaft in Ihrem Vertrag geregelt ist. Oft sind dort genaue Bedingungen und Vergütungsregeln festgelegt.
  2. Dokumentieren Sie Ihre Alarmbereitschaftszeiten: Führen Sie Aufzeichnungen darüber, wie oft und wie lange Sie in Alarmbereitschaft waren. Dies kann bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche hilfreich sein.
  3. Berufen Sie sich auf die Rechtsprechung: Verweisen Sie auf das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen und die einschlägigen EuGH-Entscheidungen, wenn Ihr Arbeitgeber Ihre Alarmbereitschaft nicht als Arbeitszeit anerkennt.
  4. Fachanwalt hinzuziehen: Falls es zu Streitigkeiten kommt, kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht helfen, Ihre Ansprüche durchzusetzen.

Fazit

Das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen ist ein wichtiger Meilenstein für Arbeitnehmer, die sich in Alarmbereitschaft befinden. Es stellt klar, dass Zeiten, in denen die persönliche Freiheit erheblich eingeschränkt wird, als Arbeitszeit anzusehen sind und entsprechend vergütet werden müssen. Arbeitnehmer sollten ihre Rechte kennen und bei Bedarf durchsetzen, um nicht auf Vergütungen zu verzichten, die ihnen zustehen.

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