Die Grenze zwischen privatem Fehlverhalten und arbeitsrechtlicher Relevanz ist ein Thema, das immer wieder die Gerichte beschäftigt. Der aktuelle Fall des „Sylt-Videos“, in dem junge Erwachsene in einer Bar rassistische Parolen grölen und Gesten zeigen, die an verbotene Nazi-Symbole erinnern, wirft erneut die Frage auf: Wann kann privates Verhalten eine Kündigung rechtfertigen? Arbeitgeber, die Mitarbeiter auf dem Video erkannt haben, haben innerhalb weniger Stunden außerordentliche Kündigungen ausgesprochen. Sollte eine der gekündigten Personen Kündigungsschutzklage erheben, werden die Gerichte entscheiden müssen, ob die Kündigungen rechtmäßig waren.
Privat bleibt privat – oder doch nicht?
Im Grundsatz gilt: Privates Verhalten hat keinen Einfluss auf das Arbeitsverhältnis, solange kein Bezug zum Arbeitgeber hergestellt werden kann. Dies ist eine essentielle Schutzregelung, die Arbeitnehmern ihre grundrechtlich geschützte Privatsphäre garantiert. Selbst strafrechtlich relevantes Verhalten im privaten Lebensbereich rechtfertigt nur in Ausnahmefällen eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung. Hierfür müssen berechtigte Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB beeinträchtigt werden. Der Arbeitgeber muss nachweisen, dass das Verhalten negative Auswirkungen auf den Betrieb oder das Arbeitsverhältnis hatte.
Das Urteil des LAG Niedersachsen von 2019
Eine wichtige Grundlage für die rechtliche Einordnung bietet das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 21. März 2019 (Az.: 13 Sa 371/18). In diesem Fall hatte ein Mitarbeiter eines Automobilunternehmens während seines Urlaubs eine nachempfundene Reichskriegsflagge in einer Bar auf Mallorca ausgebreitet. Obwohl die Presse über den Vorfall berichtete und das Unternehmen mediale Kritik einstecken musste, erklärte das Gericht die Kündigung für unwirksam. Es sah keinen ausreichenden Bezug zwischen dem Verhalten des Arbeitnehmers und seinem Arbeitsverhältnis. Weder hatte der Arbeitnehmer Dienstkleidung getragen noch Betriebsmittel genutzt. Auch die Tatsache, dass das Unternehmen durch die Berichterstattung in Verbindung mit dem Vorfall gebracht wurde, war aus Sicht des Gerichts für den Arbeitnehmer nicht vorhersehbar.
Was bedeutet das für den „Sylt-Fall“?
Im Fall des „Sylt-Videos“ stellt sich die Frage, ob die dort dokumentierten rassistischen Parolen und Gesten einen hinreichenden Bezug zum Arbeitsverhältnis herstellen. Anders als im Fall des LAG Niedersachsen ist die Veröffentlichung eines Videos im Jahr 2024 keine Überraschung mehr. Die zunehmende Präsenz sozialer Medien macht es wahrscheinlicher, dass solche Inhalte viral gehen und mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Personen, die sich öffentlich rassistisch äußern, müssen damit rechnen, dass ihr Verhalten öffentlich wird und ein Bezug zu ihrem Arbeitgeber hergestellt werden kann.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Art des Fehlverhaltens. Während im Fall des LAG Niedersachsen eine historische Flagge gezeigt wurde, was bereits strafrechtlich relevant sein kann, wurden im „Sylt-Video“ eindeutig rassistische Inhalte geäußert und Gesten gezeigt, die eine gesellschaftlich starke Abgrenzung erfahren. Arbeitgeber könnten argumentieren, dass dies den Betriebsfrieden stören oder das Ansehen des Unternehmens schädigen könnte, insbesondere wenn die Belegschaft divers ist oder das Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung vertritt.
Wann liegt ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers vor?
Ein berechtigtes Interesse gemäß § 241 Abs. 2 BGB liegt vor, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig zu erschüttern oder den Betriebsfrieden zu stören. Bei rassistischen Äußerungen kann dies der Fall sein, insbesondere wenn der Arbeitnehmer in einer Position tätig ist, die mit öffentlichem Kundenkontakt verbunden ist oder das Unternehmen für Diversität und gesellschaftliche Werte steht. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber darlegen kann, dass der Bezug zwischen dem Fehlverhalten und der beruflichen Tätigkeit hinreichend konkret ist. Ein pauschaler Reputationsschaden reicht nicht aus.
Arbeitsrechtliche Abwägungen im „Sylt-Fall“
Das Arbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob die außerdienstlichen Handlungen der gefilmten Personen einen so starken Bezug zum Arbeitsverhältnis haben, dass eine Kündigung gerechtfertigt ist. Maßgeblich ist die individuelle Einzelfallabwägung. Hierbei werden die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Schwere des Vergehens und die Position des Arbeitnehmers eine Rolle spielen. Besonders sensibel sind Fälle, in denen der Arbeitnehmer als Repräsentant des Unternehmens wahrgenommen wird oder das Fehlverhalten geeignet ist, die Glaubwürdigkeit und Integrität des Arbeitgebers zu beeinträchtigen.
Praktische Tipps für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass außerdienstliches Verhalten arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann, insbesondere wenn es öffentlich wird. Ein sensibler Umgang mit sozialen Medien und die Vermeidung provokanter Inhalte sind dringend zu empfehlen. Arbeitgeber sollten bei Verdachtsfällen sorgfältig prüfen, ob eine Kündigung rechtlich haltbar ist. Eine vorherige Abmahnung kann sinnvoll sein, um eine mögliche Kündigung abzusichern. Zudem sollte der Betriebsrat eingebunden werden, sofern dies nach dem Betriebsverfassungsgesetz erforderlich ist.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Der Fall des „Sylt-Videos“ zeigt, dass die Grenze zwischen privatem Verhalten und arbeitsrechtlicher Relevanz zunehmend verschwimmt. Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass ihr Verhalten in der Öffentlichkeit, insbesondere in sozialen Medien, Konsequenzen für ihr Arbeitsverhältnis haben kann. Arbeitgeber wiederum müssen sorgfältig prüfen, ob ein hinreichender Bezug zwischen dem Fehlverhalten und den berechtigten Interessen des Unternehmens besteht. Die Einzelfallabwägung bleibt entscheidend. In Zukunft könnten klare gesetzliche Regelungen erforderlich werden, um die Rechte und Pflichten beider Seiten zu konkretisieren und Rechtssicherheit zu schaffen.