Außerordentliche Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit – Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen

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Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit rechtmäßig ist, hat die Arbeitsgerichte immer wieder beschäftigt. Mit Urteil vom 8. Juli 2024 (Az.: 15 SLa 127/24) hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hierzu eine bedeutsame Entscheidung getroffen, die die Rechte von Arbeitgebern stärkt und gleichzeitig die Verpflichtungen von Arbeitnehmern klarstellt. Dieses Urteil verdeutlicht die Kriterien, die für die Rechtmäßigkeit einer solchen Kündigung erfüllt sein müssen, und gibt praxisrelevante Hinweise zur Umsetzung.

Wann ist eine Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit rechtmäßig?

Die zentrale Fragestellung im vorliegenden Fall war, ob der Nachweis einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit allein genügt, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat diese Frage grundsätzlich bejaht, allerdings betont, dass der Arbeitgeber die Vorwürfe substantiiert darlegen und beweisen muss. Der bloße Verdacht genügt nicht. Vielmehr sind konkrete Anhaltspunkte erforderlich, die darauf hindeuten, dass der Arbeitnehmer nicht tatsächlich arbeitsunfähig war. Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber Videoaufnahmen vorgelegt, die den Arbeitnehmer bei sportlichen Aktivitäten zeigten, die mit der angeblich attestierten Erkrankung unvereinbar waren. Diese Beweise wurden als ausreichend angesehen, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.

Welche rechtlichen Grundlagen sind relevant?

Das Urteil stützt sich im Wesentlichen auf § 626 Abs. 1 BGB, der die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund regelt. Ein solcher Grund liegt vor, wenn dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Vorlage falscher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stellt einen schweren Vertrauensbruch dar, der das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer irreparabel schädigen kann.

Welche Konsequenzen ergeben sich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass der Missbrauch von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erhebliche arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Neben der fristlosen Kündigung drohen Schadensersatzforderungen des Arbeitgebers, insbesondere wenn durch die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit betriebliche Abläufe gestört oder finanzielle Schäden entstanden sind. Arbeitgeber hingegen sollten beachten, dass die Beweislast bei ihnen liegt. Die erhobenen Vorwürfe müssen durch belastbare Fakten untermauert werden, um rechtlich Bestand zu haben. Eine professionelle Dokumentation und gegebenenfalls die Einschaltung von Detekteien können hierbei hilfreich sein.

Wie können Arbeitgeber den Missbrauch von AU-Bescheinigungen nachweisen?

Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber nicht auf die Angaben in einer AU-Bescheinigung vertrauen müssen, wenn konkrete Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Solche Zweifel können sich beispielsweise aus widersprüchlichem Verhalten des Arbeitnehmers ergeben, wie im vorliegenden Fall durch sportliche Betätigungen während der attestierten Arbeitsunfähigkeit. Zusätzlich können externe Ermittlungen, wie etwa durch eine Detektei, entscheidende Beweise liefern. Arbeitgeber sollten jedoch darauf achten, dass alle Maßnahmen verhältnismäßig sind und datenschutzrechtliche Vorgaben eingehalten werden.

Welche Rolle spielt die Beweislast?

Die Beweislastverteilung ist in solchen Fällen von entscheidender Bedeutung. Grundsätzlich gilt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Beweismittel einen hohen Beweiswert hat. Arbeitgeber können diesen Beweiswert jedoch erschüttern, wenn sie glaubhaft darlegen können, dass die Bescheinigung unzutreffend ist. Nach der Erschütterung liegt es wiederum beim Arbeitnehmer, die behauptete Arbeitsunfähigkeit zu beweisen, beispielsweise durch die Vorlage ergänzender Atteste oder die Benennung des behandelnden Arztes.

Was sagt die weitere Rechtsprechung?

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Bereits in früheren Entscheidungen, etwa dem Urteil vom 8. September 2021 (Az.: 5 AZR 149/21), hat das BAG klargestellt, dass die Vorlage einer AU-Bescheinigung keine unwiderlegbare Vermutung für das Vorliegen einer Erkrankung begründet. Die Gerichte prüfen vielmehr stets die Umstände des Einzelfalls. Im aktuellen Fall hat das Landesarbeitsgericht diese Grundsätze konsequent angewendet und die Beweisanforderungen konkretisiert.

Wie sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorgehen?

Arbeitnehmer sollten stets darauf achten, ihre Arbeitsunfähigkeit korrekt nachzuweisen. Eine wahrheitswidrige Vorlage von AU-Bescheinigungen kann nicht nur zur Kündigung, sondern auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Arbeitgeber sollten bei Verdachtsfällen schnell handeln und ihre Zweifel gut dokumentieren. Die Einschaltung eines Fachanwalts für Arbeitsrecht ist in solchen Fällen ratsam, um die rechtlichen Risiken einer Kündigung abzuwägen.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 8. Juli 2024 schafft Klarheit und Stärkung für Arbeitgeber, die mit dem Verdacht auf vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit konfrontiert sind. Es unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Beweisdokumentation und verdeutlicht, dass der Missbrauch von AU-Bescheinigungen kein Kavaliersdelikt ist. Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass solche Handlungen das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstören können. In der Zukunft ist zu erwarten, dass die Anforderungen an die Beweisführung weiter konkretisiert werden. Arbeitgeber sollten daher sicherstellen, dass sie ihre Maßnahmen stets im Rahmen der rechtlichen Vorgaben halten und gegebenenfalls fachkundigen Rat einholen.


Metatext 1:

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat am 8. Juli 2024 (Az.: 15 SLa 127/24) ein wegweisendes Urteil zur außerordentlichen Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit gefällt. Dieses Urteil stärkt die Rechte von Arbeitgebern, die in Verdachtsfällen von Missbrauch gegenüber Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgehen möchten. In unserem Blogbeitrag erfahren Sie, welche rechtlichen Grundlagen gelten, wie Arbeitgeber den Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttern können und welche Konsequenzen sich für Arbeitnehmer ergeben. Wir geben praxisnahe Tipps für beide Parteien und beleuchten die aktuelle Rechtsprechung. Lesen Sie jetzt mehr und sichern Sie Ihre Rechte.

Metatext 2:

Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit kann schwerwiegende Folgen haben – sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber. Mit seinem Urteil vom 8. Juli 2024 (Az.: 15 SLa 127/24) hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen klare Leitlinien für den Umgang mit solchen Verdachtsfällen geschaffen. Wir erklären, wann eine außerordentliche Kündigung rechtmäßig ist, welche Beweise erforderlich sind und welche Schritte Arbeitgeber und Arbeitnehmer in solchen Situationen beachten sollten. Nutzen Sie unser Wissen, um rechtlich abgesichert zu handeln und Streitigkeiten zu vermeiden. Lesen Sie unseren Beitrag für detaillierte Informationen und konkrete Handlungsempfehlungen.

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