Die Eigenbedarfskündigung ist ein bewährtes Mittel für Vermieter, Mietverhältnisse zu beenden, wenn sie oder ihre nächsten Angehörigen die Wohnung selbst nutzen wollen. Doch was passiert, wenn der angegebene Eigenbedarf vorgetäuscht war? Das Landgericht (LG) Berlin II hat mit seinem Urteil vom 28. Februar 2024 (Az. 66 S 178/22) in einem solchen Fall eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen: Der Vermieter haftet nicht nur für die Kosten des ehemaligen Mieters, sondern auch für entgangene Vorteile aus der neuen, höheren Miete.
Der Sachverhalt
Im Mittelpunkt des Falls stand ein Mietverhältnis in Berlin. Der Vermieter hatte im Juli 2015 dem Mieter wegen Eigenbedarfs gekündigt, um die Wohnung seiner Tochter zur Verfügung zu stellen. Der Mieter zog schließlich im November 2018 aus. Später stellte sich jedoch heraus, dass die Tochter nie einzog. Stattdessen wurde die Wohnung zu einem deutlich höheren Mietpreis an eine dritte Person vermietet. Der ehemalige Mieter machte daraufhin Schadensersatz geltend, unter anderem für Umzugskosten und die Differenz zur neuen, teureren Miete.
Entscheidung des LG Berlin II
Das LG Berlin II bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts (AG) Kreuzberg (Az. 14 C 96/21) und ging noch darüber hinaus. Das Gericht befand, dass dem ehemaligen Mieter nicht nur die üblichen Schadensersatzansprüche für Umzugskosten und andere Auslagen zustehen, sondern auch ein Anspruch auf Herausgabe des durch die höhere Neuvermietung erzielten Gewinns. Dieser Anspruch ergänzt sich aus der Verletzung der mietvertraglichen Treuepflicht sowie § 826 BGB, der sittenwidriges Verhalten untersagt.
Rechtslage bei vorgetäuschtem Eigenbedarf
Die rechtliche Grundlage für Schadensersatzansprüche bei vorgetäuschtem Eigenbedarf ergibt sich aus § 280 Abs. 1 BGB. Hiernach haftet der Vermieter, wenn er eine Pflicht aus dem Mietverhältnis verletzt. Ein vorgetäuschter Eigenbedarf stellt eine solche Pflichtverletzung dar. Zusätzlich können Betroffene Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorschriften des Mietrechts geltend machen.
Mit der Entscheidung des LG Berlin II wird diese Rechtslage nun erweitert: Die Herausgabe des Mehrerlöses aus der Neuvermietung basiert darauf, dass der Vermieter durch die missbräuchliche Eigenbedarfskündigung unrechtmäßig einen finanziellen Vorteil erlangt hat. Diese Bereicherung soll dem ehemaligen Mieter zugutekommen.
Folgen für Vermieter
Vermieter müssen sich bewusst sein, dass eine Eigenbedarfskündigung mit hohen Anforderungen verbunden ist. Ein vorgetäuschter Eigenbedarf kann gravierende rechtliche Konsequenzen haben, darunter:
- Ersatz von Umzugskosten: Der Vermieter haftet für alle Kosten, die dem Mieter durch den Umzug entstehen.
- Ersatz der Mietdifferenz: Der Vermieter muss die Differenz zwischen der bisherigen und der neuen, höheren Miete tragen.
- Herausgabe des Mehrerlöses: Vermietet der Vermieter die Wohnung nach der Kündigung zu einem höheren Preis, kann der Gewinn an den ehemaligen Mieter abgetreten werden.
- Schadensersatz bei immateriellen Schäden: Zusätzlich kann der Vermieter für psychische Belastungen und andere immaterielle Schäden haftbar gemacht werden.
Handlungsempfehlungen für Vermieter
- Prüfung der Eigenbedarfsgründe: Vermieter sollten vor Ausspruch einer Eigenbedarfskündigung sorgfältig prüfen, ob die Gründe plausibel und nachweisbar sind.
- Dokumentation: Alle Eigenbedarfsgründe sollten schriftlich dokumentiert werden, um spätere Nachweisschwierigkeiten zu vermeiden.
- Rechtsberatung: Bei Unsicherheiten sollte ein Fachanwalt hinzugezogen werden, um das Risiko rechtlicher Auseinandersetzungen zu minimieren.
- Alternativen prüfen: Wenn eine anderweitige Nutzung der Wohnung möglich ist, sollte eine Eigenbedarfskündigung nur als letzte Option in Betracht gezogen werden.
Konsequenzen für Mieter
Für Mieter bedeutet das Urteil des LG Berlin II eine deutliche Stärkung ihrer Rechte. Sie können bei einem Verdacht auf vorgetäuschten Eigenbedarf folgende Schritte unternehmen:
- Dokumentation: Beweise für den tatsächlichen Gebrauch der Wohnung sammeln, beispielsweise durch Fotos oder Zeugenaussagen.
- Rechtsberatung: Einen Fachanwalt für Mietrecht einschalten, um Ansprüche prüfen zu lassen.
- Schadensersatz geltend machen: Alle entstandenen Kosten und Nachteile können vom Vermieter eingefordert werden.
Fazit
Das Urteil des LG Berlin II vom 28. Februar 2024 (Az. 66 S 178/22) setzt neue Maßstäbe im Umgang mit vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen. Es verdeutlicht, dass Vermieter nicht nur die Kosten der betroffenen Mieter tragen müssen, sondern auch unrechtmäßig erzielte Gewinne herausgeben können. Diese Rechtsprechung stärkt die Position der Mieter und setzt klare Grenzen für missbräuchliches Verhalten. Vermieter sollten daher bei Eigenbedarfskündigungen höchste Sorgfalt walten lassen, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.